Shine bright like a diamond

Text zu den Arbeiten von Yasemin Hakverdi
von Jürgen Raap

„Shine bright like a diamond…Find light in the beautiful sea…We’re like diamonds in the sky…“ heißt es in einem Songtext von Rihanna. In vielen alten Mythen ist der Glanz des Goldes metaphorisch an Herrschaft, Glück und an Himmlisches gekoppelt – in der altägyptischen Hochkultur z.B. symbolisierte dieser Glanz die Strahlkraft der Sonne, und die stoffliche Substanz selbst galt als das „Fleisch der Götter“; der Umgang mit Gold war daher den gottgleichen Herrschern vorbehalten. Die Liedzeile „Shine bright like a diamond…“ hat Yasemin Hakverdi bewusst als Titel ihrer Ausstellung mit Werkreihen aus den Jahren 2013 und 2014 gewählt.

Eine dieser Werkreihen weist durchweg goldene Hintergründe auf: Hakverdi kombiniert in diesen Bildern Acrylfarbe mit Schlagmetall und Ätzlösung. Durch das Verlaufen dieser Lösung auf dem Bildgrund entstehen Zufallsstrukturen, die sich im weiteren Trocknungsprozess zu einem Geflecht mit abstrakten Strukturen verdichten. In der Arbeit „Tiger“ (2013) erinnern diese Strukturen im unteren Bildteil an kalligrafische Formen. Das bildnerische Ergebnis verleitet hier allerdings nicht zu einer gegenständlichen Ausdeutung, wie man sie z.B. in der Psychologie beim Rorschach-Test vornimmt, was man beim Anblick von Farbflecken an konkreten Formen assoziieren könnte, denn die Intention der Künstlerin mündet auch in den anderen Arbeiten dieser Serie konsequent in den Duktus einer abstrakt orientierten Malerei. Wobei zum malerischen Repertoire auch chemische Prozesse gehören, denn im linken Bildbereich von „Tiger“ verändert die Säure den Goldauftrag zu einem Kupferton. In einem anderen Bild („ohne Titel“, 2014) führt das Einwirken der Lösung zu einem Rosteffekt, der in einem starken, fast schon komplementären Kontrast zu den inselartigen türkisfarbenen Formen auf dem Goldgrund steht.

Im Unterschied zu Zink oder anderen metallurgischen Stoffen widersteht das Edelmetall Gold auch starken Säuren. Doch die Alchemisten des Mittelalters wussten durchaus, dass man auch Gold aufzulösen vermag, und zwar mit einer Mischung aus Salz- und Salpetersäure, im Verhältnis 3:1, die sie „aqua regia“ (=Königswasser) nannten. Im Lösungsprozess entsteht Tetrachloridogoldsäure. Die hohe Konzentration von Chlorid-Ionen steigert die Löslichkeit von Edelmetallen wie Gold oder Platin, und Chloride vermögen dann auch Gold zu oxydieren. Diese Eigenschaften macht sich die Künstlerin zunutze, indem sie die ästhetische Wirkung solcher Lösungsprozesse auslotet. Sie begreift die optische Veränderung des Goldauftrags als Teil eines malerischen Prozesses, der eine informelle Bildsprache hervorruft. Das betrifft mal nur den Hintergrund eines Bildes, mal aber auch die gesamte Bildaussage. Kleine weiße Aussparungen an einigen Stellen des Goldgrundes, die Hakverdi bewusst so stehen lässt, verstärken die informelle Aura des Bildgrundes.

In der klassischen Ikonenmalerei des osteuropäisch-orthodoxen Kulturkreises repräsentiert Gold das alles durchdringende Licht in zweidimensional angelegten Bildern, die keinen mathematischen Raum kennen, wie ihn im Westen die Maler der Renaissance in die Kunstgeschichte einführten. Das Gold leuchtet bei diesen alten Ikonen quasi „aus sich selbst“ heraus, und dieses göttlich scheinende Licht kennt keinen Schattenwurf. Eine solche raumlose Transzendenz erzeugen auch die flächig angelegten Bildgründe in der Malerei von Yasemin Hakverdi. Sie wird jedoch gebrochen durch den Einsatz der Ätzlösung, und zudem konkretisiert (und profanisiert) sich die eigentliche Bildaussage bei dieser Werkreihe vor allem durch plakative Beifügungen verbaler Begriffe.

Das Wort „Stars“ springt in signalhaften weißen Buchstaben aus dem Quadratraster des Goldgrundes heraus, und diese verbale Einfügung verleiht dem abstrakten Bildgrund nun eine zweite, konkrete Dimension. Im Sinne der Semiotik ist das Wort „Stars“ ein Index, d.h. Es ist ein indexialisches Zeichen, das etwas anzeigt, aber (noch) nicht abbildet (anders als das Ikon als vereinfachtes Abbild eines Gegenstandes). Auch die kleinen weißen Flecken und Aussparungen sind nach wie vor abstrakte Farbpartikel, und nicht etwa Abbildungen von glitzernden Sternen. Die dunklen Schlieren der Ätzlösung sind auch keine Spiralnebel im Universum, keine Zusammenballung von Gasen, aus denen dann Planeten entstehen – nein, es geht hier nicht um ein Abbild des Himmels im ikonischen Sinne, weder im Sinne der klassischen Ikonenmalerei noch im Sinne der Semiotik als Zeichentheorie.

Aber weil wir anthropologisch so konditioniert sind, Strukturen nicht einfach als ein völlig chaotisches Geflecht wahrzunehmen, sondern sie kognitiv „in eine Ordnung“ zu bringen und ihnen damit auch Bedeutungen im semantischen Sinne zuweisen wollen, provozieren solche Schriftbeifügungen wie „Stars“, „Tiger“, „Run“, „Life“, „Pray“, „Light“, oder „SOS“ beim Betrachter Gedankenketten mit Rückbezügen zur eigenen Erfahrungswelt, und dieses eben auch bei der Auseinandersetzung mit dieser Art von Malerei, die nicht illusionistisch ist. In der Sprachtheorie ist die Benennung von Erscheinungen durch sprachliche Begriffe an das Wiedererkennen der Gegenstände gekoppelt und an den Zweck, über dieses Wiedererkannte zu kommunizieren. Dieses Prinzip macht sich die Malerin auch hier zunutze.

Die Schriftbeifügung „Tiger“ ist in weißer Umrahmung mit einer Aussparung des Buchstabenkörpers auf den Goldgrund aufgetragen. Der Betrachter blickt durch die Buchstaben hindurch auf den Hintergrund: dadurch erzielt Hakverdi einen räumlichen Effekt bei der ansonsten flächigen Bildanlage. Die Buchstaben springen optisch nach vorne, sie wirken quasi wie „aufgestempelt“. Den gleichen Kunstgriff des Suggerierens von Räumlichkeit setzt Hakverdi auch bei gegenständlichen Motiven ein, wo z.B. ein Gesicht durch einen schwarzen runden Rahmen hindurchblickt: der schwarze Kreis, das Gesicht und die rotbraune runde Fläche sind „hintereinander gestaffelt“ und verwandeln solchermaßen den flächigen Bildträger in einen Bildraum.

Bei „Let the sunshine in“ (2013) überlagern die Konturen der Lettern die feinen weißen Linienränder zwischen den Quadraten des Schlagmetallauftrags und suggerieren in ähnlicher Weise einen Vorne-Hinten-Effekt. Durch die leichte diagonale Kippung von „Sunshine“ dynamisiert die Künstlerin das Bildgefüge zusätzlich. In anderen Arbeiten, bei denen die Buchstabenkörper ausgemalt sind, wirken diese in ihrer Signalkraft weitaus plakativer, ähnlich wie man es von der Pop Art und von der Street Art (Graffiti) her kennt.

Hatten die Kubisten Buchstaben nur als formal-farbliches Element in ihre Bildkonstruktionen eingebracht und die Dadaisten sich auf typografische Experimente konzentriert oder durch ein Spiel mit Wortfragmenten eine Entsemantisierung und damit eine neuartige poetische Qualität zu erreichen versucht, so bezieht sich Yasemin Hakverdi hingegen auf die ursprünglichen semantischen Inhalte von „Life“, „Light“ oder „Pray“. Diese Vokabeln konkretisieren wie bereits erwähnt das abstrakte Bild, freilich nicht im Sinne der klassischen „Konkreten Poesie“, da nämlich auch bei der Reduktion auf ein einzelnes Wort in diesen Bildern die Sprache immer noch der Beschreibung eines Sachverhalts, einer momentanen Gemütsverfassung, eines Wunsches oder eines imperativen Appells dient. Das verleiht den Arbeiten einen zwar durchaus auch literarischen Charakter, wiewohl aber die Platzierung auf dem Bildträger konsequent bildnerischen kompositorischen Regeln folgt und die Wahl der Farbe für die Umrahmung oder das Ausfüllen der Lettern ausschließlich hinsichtlich der erwünschten malerischen Wirkung getroffen wird.

So mildert bei „Tiger“ die weiße Schrift die lichtschluckende Stumpfigkeit der Dunkeltöne in der Bildmitte ab, denn ohne die weiße Schrift würde das Einwirken der Ätzlösung sonst zu viel Licht vom Goldgrund absorbieren. Mit dem weißen Schriftauftrag bekommen übrigens auch die drei dünnen weißen Aussparungen eine andere ästhetische Wertigkeit und der obere weiße Fleck könnte sogar als verrutschter „i“-Punkt wahrgenommen werden.

Die einzelnen Begriffe stehen in diesen Bildern nicht für sich selbst, sondern sie rekurrieren auf persönliche Erfahrungen und Befindlichkeiten und haben damit eine Verweisfunktion für den Bildbetrachter. Die aufgemalten Wörter bekommen den Charakter einer Chiffre zugewiesen, welche die reale emotionale Situation währende des Entstehungsprozesses verschlüsselt und dem Betrachter somit einen Assoziationsraum öffnet, seine eigenen Erinnerungen oder Vorstellungen damit zu verbinden. Denn was in dieser Verrätselung von Begriffen an individuellen Wunschvorstellungen und Verfassungen angedeutet wird, ist durchaus kollektiv nachvollziehbar: so unterschiedlich die jeweiligen Lebensumstände auch sein mögen, so streben wir bei unseren Existenzentwürfen doch alle gleichermaßen nach Glück und unterliegen dabei immer einem Problemdruck durch eine Komplexität von inneren und äußeren Rahmenbedingungen.

Die philosophische Anthropologie des 20. Jh., etwa bei Max Scheler und Arnold Gehlen, beschreibt den Menschen als ein Wesen, das permanent einen Umweltdruck bewältigen muss. Das gelingt u.a. durch die ständige Erweiterung und Verbesserung des zivilisatorischen Fortschritts, ist zugleich aber auch mit Visionen und Utopien verbunden, d.h. Mit imaginären Projektionen und intellektuellen Konstrukten, die sich an kulturübergreifenden Symbolmustern verankern. Vor diesem Hintergrund haben auch die Worteinfügungen in jeder Werkserie mit den Goldgründen einen projektiven Charakter. Die verbalen Notizen auf Yasemin Hakverdis Bildern verbleiben eben nicht im tagebuchhaften, sondern sie erlauben eine künstlerische Verallgemeinerung zu Aussagen über die alltägliche menschliche Lebensführung mit allen Unwägbarkeiten, und eben auch mit allen Gefahren, die man symbolhaft z.B. mit der Wildheit und Stärke eines Tigers assoziieren kann. Der Kampf (gegen diese Bedrohung, die der Tiger kulturell symbolisiert), ist die eine Möglichkeit zu solch einer Bewältigungsstrategie, das Gebet („Pray“) als (Für-)Bitte an höhere Mächte hingegen eine andere. Hierbei überlässt man bei dieser Form der religiösen Anrufung das Eintreten des erbetenen Ereignisses der höheren Macht, während man hingegen in magisch orientierten Kulturen durch Beschwörungsrituale das Ereignis herbeizwingen oder durch Abwehrzauber von sich fernhalten will.

„Life“ (2013) ist übrigens das erste Bild diese Werkreihe. In leichter Biegung schweben die weißen Buchstaben vor einer flechtwerkartigen Ebene mit Linien, deren Ränder dornenartig ausufern. Bei „Run“ (2013) sind die dicken weißen Lettern unterdessen nahezu bildfüllend aufgetragen; sie verändern das Gemälde zu einem Schriftbild, bei dem die malerischen Aspekte etwas zurücktreten hinter den verbalen Elementen. Doch so, wie sich bei den Buchstabenbildern des Pop Art-Künstlers Robert Indiana Farbe und (Buchstaben-)Form ästhetisch die Waage halten, so erzielt auch Yasemin Hakverdi bei ihrem Bild eine farblich stimmige Balance zwischen dem hervorspringenden Weiß der Buchstabenkörper und den Schwarz- und Goldtönen des Untergrunds, wobei die vertikalen schwarzen Elemente unmittelbar über den Buchstaben die obere Bildhälfte zu einem „Gegenpol“ aufwerten. Mit der Anlage solcher Kontraste erzielt die Künstlerin auch bei „Mystik“ (2014) die gewünschte Spannung im Bild, indem in dessen Mitte eine türkisfarbene Form mit dunklen Rändern als visueller Haltepunkt dient und zwei verschiedene Goldtöne dazu das kontrastive Pendant bilden.

Als konsequente Weiterentwicklung dieser Schriftbilder mündet der Werkprozess schließlich in gegenständlich pointierte Arbeiten, in der Vögel, eine Fledermaus oder auch ein Fledermaus-Pärchen in schwarzer Lackfarbe auf dem Goldgrund auftauchen. Durch diese figurativen Elemente fühlt sich der Betrachter gleichzeitig dazu angeregt, die abstrakten Hintergründe als eine Landschaft zu deuten. Mal glaubt man, die Tiere würden durch einen dunklen Nachthimmel umher schwirren, mal wähnt sich der Betrachter in einer dunklen Höhle, durch die er nach draußen auf einen golden erleuchteten Landschaftsraum blickt. Die figurativen Elemente sind visuelle Haltepunkte im Bild, von denen aus sich eine mögliche semantische Bedeutung der übrigen Bildpartien aufdrängt, dies aber auch jetzt nicht im Sinne einer illusionistischen Tafelmalerei, sondern als abstrakte Landschaft.

Auch jetzt entstehen keine mathematisch konstruierten perspektivischen Räume, sondern ausschließlich optische Effekte durch die Einwirkung der Ätzlösung, die aber nun in Kombination mit den Vögeln und Fledermäusen den Bildern eine romantische Aura verleiht: betrachteten die Maler des 19. Jh. in der Epoche der Romantik die Natur als einen Spiegel des individuellen Empfindens, so geht es bei Yasemin Hakverdis Bildern in einer damit im weitesten Sinne verwandten Weise ebenfalls um das Einfangen verschiedener Stimmungswerte. Dies im Ausstellungstitel und in den Textbeifügungen mit einem Rekurs auf die Zeilen bekannter Pop-Songs zu verbinden, ist für das frühe 21. Jh. eine zeitgemäße Methode der Bildfindung.

Eine andere Werkreihe aus dem Zeitraum 2013/2014 befasst sich mit floralen Motiven in Lackfarbe. Bei einer roten Rose sind die Konturen der Blüten(-Ränder) in schwarzen Linien angedeutet. Das darf nicht als eine Formvereinfachung missverstanden werden, mit der man Pflanzenstudien nach der Natur in eine moderne künstlerische Bildsprache übersetzt, sondern es handelt sich hier vielmehr um eine Reflexion von Prozessen einer kunsthistorischen Formenentwicklung und ihrer maltechnischen und drucktechnischen Ergebnisse: So hat z.B. die Formensprache des traditionellen japanischen Holzschnitts bei Hiroshige und Hokusai am Ende des 19. Jh. die Maler (etwa von van Gogh) und die Plakatkunst (etwa bei Toulouse-Lautrec) beeinflusst. Beim Porträt eines nachdenklichen jungen Mannes mit gesenkten Augenlidern („Daydream“) gelangt Hakverdi zu einem sehr freien, malerischen Umgang mit der Lackfarbe, wo sich die rote Umrahmung an den Rändern in feine, verästelte Strukturen auflöst – ein Duktus, der an die Technik der Monotypie anknüpft und der sich dann im hellblauen Element am unteren Bildrand und in den Farbverläufen bei der grün-gelben Kopfbedeckung fortsetzt. Die Physiognomie des Gesichts ist in wenigen, sicheren grauen Strichen nur angedeutet und eine unterbrochene blaue Linie, die sich von links in das Gesicht hinein zieht, endet in den Wimpern. Gegenständlich-figurative (Porträt) und abstrakte Momente halten sich hier die Waage.

Mündet die Beschäftigung mit den erwähnten Pflanzenmotiven schließlich im Herbst 2014 in die „Wiesenbilder“ mit Lackfarbe auf Aluminium, so sind parallel dazu andere Arbeiten aus der jüngsten Werkphase wieder rein abstrakt angelegt. Sie entstanden teilweise in Rakeltechnik und mit Farbverläufen, durch deren Schicht Gold und Silber noch durchscheinen. „Wege“ nennt die Künstlerin diese Werkserie, bei der sich mitunter zwar auch einige Formen gegenständlich interpretieren lassen (z.B. als Kirchturmspitze), aber jenseits aller Parabelhaftigkeit, die der Begriff „Wege“ suggeriert, geht es hier primär doch um die Auseinandersetzung mit Farbe als Stoff und mit Farbe als optischer Erscheinung (und dies eben nicht nur beim Glanz des Goldes) und damit letztlich um „Malerei als Malerei“ als Basis des künstlerischen Konzepts. Der Arbeitstitel „Shine bright like a diamond“ bringt diesen phänomenologischen Aspekt auf den Punkt.